Komm, lass uns mal ECHT sein! Warum wir unsere Freundschaften wieder mehr feiern sollten
Es ist Sonntag und mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich schreibe meiner Freundin Sarah. Ihr Antwort kommt direkt: „Wir machen nichts und sitzen im Gammel-Look auf dem Balkon. Willst du dazu kommen?“. Ja, das will ich. Eine halbe Stunde später sitze ich bei Sarah und ihrem Freund Jo auf dem Balkon. Wir essen Reste aus beider Kühlschränke, quatschen und genießen ein paar Stunden ohne viel Tamtam. So sah es den einen oder anderen Sonntag letzten Sommer aus. Natürlich gibt neben Sarah noch andere tolle Freund*innen und neben Essen und Balkon fällt uns auch noch mehr ein. Dazu vielleicht mal an einer anderen Stelle.
Freundschaften wie die zu Sarah sind für mich Gold wert. Sarah war einfach irgendwann da. Als Flying Yoga Fan. Als gute Freundin. Als Fotomodel-Vermittlerin. Als Kontakte-Knüpferin. Als Fotografin. Als große Stütze. Und als Gammel-Look-Gefährtin. Gerade als selbstständige Single-Frau fehlt mir oft das ganz normale Gammel-Look-Dasein. Ich genieße es einfach mal zu sein. So wie ich bin. Dabei geht es mir nicht um Jogginghose, fettige Haare und um die ungeschminkte Wahrheit, sondern eher um die echten Momente. Das heißt nicht, dass ich sonst nicht nicht-echt bin als Yoga-Lehrerin. Aber es ist doch noch einmal eine andere Seite an Nelly da bei Sarah auf dem Balkon. Und ich glaube das ist der Punkt. Wir alle haben verschiedene Seiten und können die nicht überall zeigen. Oder wollen es einfach nicht. Und es ist verdammt noch mal auch ok, dass nicht jeder Mensch alle unsere Seiten lieben wird. Eigentlich ist es etwas was wir alle brauchen und doch viel zu wenig leben: authentisch sein – auch außerhalb unserer vier Wände und unserer Beziehung.
Am Anfang meiner Leipzig-Zeit habe ich ziemlich schnell ziemlich viele neue Leute kennengelernt. Einige hatten Freunde-Potenzial, aber da war schon so viel Leben drum rum. Eine Bekannte (und heute gute Freundin) sagte damals: „Es ist ja nicht so, dass wir auf dich gewartet haben, Nelly.“. Irgendwie hart aber ich verstehe sie. Wir haben alle viel um die Ohren und irgendwann sind wir satt. Auch satt an Beziehungen. Aber ich hatte noch Hunger, denn ich war ja neu in der Stadt. Mit Anfang 30 stellte ich also fest, dass es gar nicht mehr so leicht war, neue Freunde zu finden. Also solche, die noch nicht satt sind und noch ein bisschen Raum haben für tiefe neue Bekanntschaften. Ich rede darüber viel. Auch mit langjährigen Freunden, die nicht hier leben und auch noch einmal irgendwo neu angefangen haben. Aber mit Partner und Kind. „Freundschaften verändern sich halt, Nelly. Man hat einfach nicht mehr so viel Zeit und konzentriert sich einfach mehr auf seine eigene Partnerschaft und Familie.“. Ich finde das sehr schade und habe es tatsächlich oft erlebt. Man lernt sich kennen, verbringt lustige Zeiten zusammen und stellt fest: das passt irgendwie gut. Vielleicht habt ihr eben doch genau auf mich gewartet?! Aber schnell stelle ich fest, dass es oft anstrengend wird. Irgendwie versuchen immer alle perfekt zu sein. Über die lustigen Momente geht es manchmal einfach nicht hinaus. Wenn man mal nicht lustig ist, trifft man sich einfach nicht. Ich mache es ja irgendwie auch so. Aber es gibt eben auch Sarah, mit der man auch wunderbar die nicht so sonnigen Momente teilen kann, die mir im Studio unter die Arme greift obwohl sie vielleicht auch lieber lustige Ausflügen machen würde und die mir ihre Jogginghose voller Stolz auf dem Balkon präsentiert.
Ich bin immer noch nicht satt. Klar, ich bin ja Single. Ich suche noch nach den Menschen. Die für die guten und schlechten Zeiten. Die Joggingbuchse liegt immer bereit. Aber auch ich habe Angst ihr jedem zu zeigen. In letzter Zeit merke ich aber wie schön es für alle ist, mal wieder unter Mädels zu sei, zu gackern und auch zu lästern, laut Girly Musik zu hören (ja Dank der modernen Technik muss ich dazu nicht mal in Kisten im Keller wühlen). Ich habe Gespräche mit Freunden, die man nicht mit dem eigenen Lieblingsmenschen führen will und kann. Das ist auch gut und gesund so. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir uns alle wieder mehr öffnen und unserer Freundschaften vertiefen, auch unsere Beziehungen mehr Tiefe bekommen. Weil dann der eine Lieblingsmensch nicht mehr beste Freundin, heißer Lover, liebender Familienvater, Businesspartner und Lebensberater (und wer weiß was noch so alles) sein muss. Kann er vielleicht, aber er muss doch nicht. Aber was weiß ich schon. Bin ja immer noch hungrig. Ich glaube ich ruf mal Sarah an, ob wir schon wieder auf den Balkon können. Und dabei habe ich ein Lied von den Spice Girls im Kopf …